Jetzt möchte ich endlich von meiner Entlassung berichten. 52 Jahre habe ich abgesessen. Ohne Gnade.
Die 3 Jahre Kindergarten rechne ich nicht mit. Seltsam, ich erinnere mich noch heute an Opas Worte vor meinem ersten Kindergartentag: „Xammi, jetzt beginnt der Ernst des Lebens“. Dies war spielen, singen, lachen, aber auch viele Quereleien, wie sie unter Kindern üblich sind.
Wir wohnten in einem Kaff in den Pampas, sozusagen. Es gab nicht so viele Kinder in meinem Alter, darum wurden zwei Jahrgänge zusammen eingeschult. Bevor ich in die Schule kam, hatte ich deshalb ein Jahr Gnadenfrist. Vor meinem ersten Schultag war ich gerade Sieben geworden. Opas Worte begleiteten mich von Anfang an: „Xammi, jetzt beginnt der Ernst des Lebens“.
Es war April 1960. Das waren Zeiten! -Wir kannten kein Handy, hatten kein Telefon, keinen Fernseher, kein Auto – nicht einmal eine Waschmaschine!
Opas weise Worte: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens“ begleiteten mich immer.
Ich kam in eine Zwergschule. Das hieß so, nicht weil ich so klein war, sondern weil die Klasse so klein war. Wir paar Kinder hatten zusammen mit 3 Schuljahren Unterricht. Ich bewundere immer noch die Leistung unserer Lehrerin. Drei Klassen mussten beschäftigt werden und ruhig sein, eine wurde mündlich unterrichtet. Die Kleinen lernten lesen und schreiben, indem sie erst einmal etwas malen durften. Ich liebe Malen heute noch und machte mich immer mit Feuereifer an die Aufgaben.
Interessant fand ich aber den Unterricht der Älteren und sammelte Rüffel ein, weil ich da verbotener Weise zuhörte. Endgültig fiel ich bei der Lehrerin beim Buchstaben „O“ in Ungnade. Wir Erstklässler hatten die Aufgabe bekommen, ein Ei zu malen. Ich malte gleich mehrere schöne, bunte Ostereier. Frau Schröder lobte alle Kinder, dann ging sie an die Tafel und erklärte: „So, jetzt male ich auch ein Ei“ - sie malte ein Oval - „...und mache die Spitze ein wenig runder. So wird aus dem Ei etwas Anderes, ich bekomme ein O. Lest jetzt laut, was an der Tafel steht.“
Alle Kinder sagten „Oooo“, ich sagte „Ei“.
„Xammi, das ist ein O.“ Alle wiederholten „Oooo.“ Ich: „Ei“. - Ja, an dem Tag war ich ganz besonders begriffsstutzig. Ich konnte mich nicht vom „Ei“ trennen. Der Schultag endete für mich mit „Ei“ und Tränen. Erst daheim gelang es Mama, den richtigen Tatbestand des "O" in meinen Kopf rein zu kriegen.
Ich hatte Glück, im 2. Schuljahr zogen wir um, und ich kam in eine ganz normale, überfüllte Schulklasse. Bevor ich in eine höhere Schule wechselte, gab Opa mir die weisen Worte mit:„Jetzt beginnt der Ernst des Lebens“.
Nun will ich ja nicht meinen Lebenslauf beschreiben. Kurzum, nach 10 Schuljahren bekam ich eine Lehrstelle, wie das damals hieß, einen Ausbildungsplatz. Opa sagte dazu: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“ Spätestens ab dann hatte er Recht und brauchte das nie mehr zu wiederholen.
42 Jahre Arbeitsfron sind der Ernst des Lebens.
…
Die letzten Wochen vor meiner Entlassung waren noch sehr arbeitsreich. Es war aber auch schön, wie viele nette Kolleginnen und Kollegen sich von mir verabschiedeten.
Mit einer kleinen Träne im Auge, aber voller riesiger Freude, trat ich am 26 Juli den letzten „echten“ Urlaub meines Lebens an. Am 31. Juli 2012 bin ich offiziell in die Altersteilzeit-Ruhephase entlassen worden.