Heute Nacht hatte es einen Traum. In seiner staubigen Ecke in der Abstellkammer hing es dem süßen Traumgefühl nach.
Endlich hatte es jemand heraus geholt, liebevoll betrachtet und mitgenommen. Es hatte wieder einen hellen, freundlichen Platz bekommen. Der Traum war zu schön, um wahr zu sein.
Wehmütig dachte es an seine Glanzzeiten zurück. Eine ganze Wand hatte es für sich gehabt. Wunderschön, in leuchtenden Farben, strahlend und groß hatte es alle Menschen von sich begeistert.
Ihm war niemals bewusst gewesen, dass andere es beneideten. Als aber dann der neue Eigentümer gekommen war, hatten sie sich in den Vordergrund gedrängt und schlimme Sachen von ihm behauptet. Sie sagten, es sei zu unkonkret, abstrakt und viel zu bunt. Es würde sie alle an die Wand spielen. So etwas wie ihn will jetzt niemand mehr sehen.
Und der neue Eigentümer hat nichts mit ihm anfangen können.
Es wurde abgehängt. Seine Seiten wurden gestutzt, damit es in einen altmodischen, viel zu kleinen Rahmen hinein passte. Es bekam eine gelb-braune Glasscheibe aufgelegt, durch die seine schönen, bunten Farben kaum noch zu erkennen waren. Dann bekam es einen Platz in einem Nebenraum zugewiesen.
Die anderen hatten gegrinst und hämisch gelacht. Einmal fragte ein Neuling mitleidsvoll, wie es ihm ginge. Das wurde aber von den großen Alten ausgeschimpft. Sie verbaten ihm jegliche Unterhaltung mit ihm, dem herunter gekommenen Subjekt.
Anfangs hörte es noch oft, wie Menschen nach ihm fragten. Sofort lenkten die Anderen die Aufmerksamkeit auf sich. So wurde es mit der Zeit immer weniger beachtet. Nur selten verirrte sich jemand in den abgelegenen Raum.
Schließlich nahm es der Eigentümer herunter. Es bekam wieder einen neuen Platz in der hintersten Ecke. Hier gingen keine mehr Leute vorbei. Keiner sah es mehr. Nur die Putzfrau, die staubte es hin und wieder ab.
Unlängst hatte ein Kind seinen Kaugummi auf ihn geklebt. Es war zum Weinen schön, als endlich der Nachtwächter den Schaden bemerkte, abkratzte und die Scheibe polierte. Dabei hatte er gemurmelt: „Eigentlich gar nicht so übel, das Bild. Ich meine, das war doch mal ganz bekannt."
So träumte es vor sich hin, das Bild.
*** Der gute Ausgang:
Stimmen. Der Eigentümer kam mit einem Fremden herein. Es verstand nicht, wovon sie sprachen, nur „Kuckuck“ und „Versteigerung“. Dann wurde es abgehängt, in eine große Schachtel gepackt und mitgenommen. Ihm war nun wirklich Angst und Bange. Wird es auf dem Müll landen?
***
Die Versteigerung ist vorbei. Der neue Eigentümer hat es aus dem hässlichen Rahmen genommen und betrachtet es mit freudigem Kennerblick. Der blöde Banause hat es zwar verstümmelt, aber es ist immer noch wunderschön und bekommt nun einen Ehrenplatz an einer hellen, freundlichen Wand, wo alle es bewundern können.
Eine Erzählung aus meinen Geschichten "Paralellwelten" /copyright by Xamantao