Ich schlug die Augen auf und sah zuerst unseren Hausarzt. Dann blickte ich in das sorgenvolle Gesicht meines Mannes. „Da bist Du ja endlich wieder!“
„Was ist denn hier los?“, fragte ich.
„Du hast 2 Tage durchgeschlafen und hohes Fieber gehabt. Ich musste Herrn Doktor Groß holen, weil ich Angst um Dich hatte,“ antwortete Michael. Er umarmte mich und strahlte, froh, dass ich wieder bei Sinnen schien. Der Arzt untersuchte mich gründlich und war zufrieden. „Sie sind jetzt auf dem Weg der Genesung. Das Fieber ist weg, nur noch erhöhte Temperatur. Wenn Sie jetzt nicht wach geworden wären, hätte ich Sie ins Krankenhaus eingewiesen.“
„Was war denn mit mir los?“ wollte ich wissen.
„Das wüssten wir gerne von Dir“ erwiderte Micha. Aber ich hatte zuerst riesigen Durst und Hunger. Der Arzt verabschiedete sich und bat mich, so bald wie möglich in seine Sprechstunde zu kommen. Nachdem ich zwei belegte Brote gegessen und zwei Flaschen Wasser getrunken hatte, wollte ich erstmal duschen. Dabei ging mir so einiges durch den Kopf.
Das war ein Albtraum! Das konnte nicht wahr sein...
Mein Mann hatte derweil Bratkartoffeln, Spiegeleier und Spinat gemacht. Wir aßen mit großem Appetit. Ich futterte so viel, dass es mir fast schlecht wurde. Er war sehr liebevoll. Auch die beiden Katzen schnurrten um mich herum, und ich dachte: ´Was ein Glück, das war nur eine ganz üble Fieberwahnvorstellung gewesen.`
Es hatte mit einem Anruf von Waltraud begonnen.
Waltraud ist meine frühere Nachbarin und Freundin. Wir hatten vor langem, vor fast 30 Jahren, allmählich den Kontakt verloren, als wir beide in verschiedene Städte gezogen waren. Jetzt wohnte sie seit ein paar Monaten in Frankfurt. Da hatte sie zufällig abends einen anderen ehemaligen Nachbarn getroffen, den Ralf. In dem Mietshaus, wo wir damals gewohnt hatten, waren lauter kleine Appartements. Die meisten Mieter waren Studenten. Oftmals unternahmen wir jungen Leute Abends etwas miteinander. Es war eine lustige Zeit gewesen.
Waltraud und Kemo, ihr Lebensgefährde, hatten sich mit Ralf auf die Suche nach anderen Mitbewohnern und Freunden gemacht. Hüseyin, Biggi, Peter und Marita hatten sie schon gefunden und organisierten ein gemeinsames Treffen in Frankfurt. Dieser Abend war sehr schön und gewesen. Wir haben uns an alte Bekannte und alte Geschichten erinnert und viel gelacht.
Vor zwei Wochen rief Waltraud wieder an, erzählte begeistert, dass Ralf uns in sein Ferienhaus „auf dem Balkan“ einladen möchte. „Auf den Balkon?“ hatte ich gefragt. „Nee, muss wohl in Jugoslawien sein, seine Eltern stammen doch von dort. Es ist genug Platz in dem Haus, hast Du Lust mitzukommen?“
Eigentlich hatte ich ja mit Michael Urlaub machen wollen, aber dem war ein Auftrag dazwischen gekommen. Etwas sauer war ich, hatte mich aber damit abgefunden, dass wir nicht fort fahren.
Da kam diese Einladung gerade recht. Die Reise sollte nur etwa eine Woche dauern, was ich auch gut fand.
So packte mein Köfferchen und fand mich am 17. Mai morgens am Treffpunkt Hauptbahnhof Südseite in Frankfurt ein. Wer noch kam waren Waltraud, Hüseyin und natürlich Ralf. Weshalb Kemo nicht dabei war, erfuhr ich nicht. Ralf war zufrieden, weil wir alle in seinen BMW-Kombi passten. Mit dem Gepäck wurde es allerdings ziemlich eng. „Habt Ihr alle Eure Reisepässe dabei? Und Euren Führerschein, damit wir uns beim Fahren abwechseln und so weit wie möglich ohne langen Zwischenstopp kommen?“ fragte er. Dass wir wirklich die vielen Kilometer nur mit Tank- und Pinkelpausen schrubbten und kaum länger als eine Stunde anhielten, das gefiel mir nicht. Ralf meinte, so hätten wir am Ziel mehr Zeit zum Ausruhen.
Die Fahrt ging durch superschöne Gegenden, die Alpen und an der slowenischen und kroatischen Küste entlang nach Süden. Ich übernahm in Kroatien das Lenkrad, fuhr durch Split – wo ich endlich eine längere Rast durchsetzte. Waltraud war auch froh, endlich mal aus dem Auto zu kommen.
Am Anfang der Reise waren die Gespräche noch lebhaft, aber während der langen Fahrt wurde es immer ruhiger. Wer nicht den Wagen lenkte, schlief oder döste vor sich hin. Hinter Dubrovnik übernahm Ralf das Steuer von mir. Ich wechselte auf den Rücksitz und schlief bald ein. Bloß an einer Grenze wachten Hüseyin und ich auf, als die Pässe kontrolliert wurden. Unsere Papiere hatte Ralf am Anfang schon eingesammelt und ins Handschuhfach gelegt, damit sie bei Bedarf greifbar sind.
Auf unsere Fragen, wo genau das Haus denn ist, hatte Ralf immer nur geantwortet, wir sollten uns überraschen lassen. Etwas bestürzt stellte ich jetzt fest, dass wir die albanische Grenze passiert hatten.
Es ging nun über teils holprige Straßen weiter an der Küste entlang. Ich schlief wieder ein und wurde erst wach, als Ralf vor einem kleinen Bauernhof hielt.
Endlich am Ziel!