... Was als netter Kurztripp in den Süden
mit alten Freunden begonnen hat,
entwickelt sich langsam zu einem Albtraum.
Der Anfang: Eine üble Geschichte
Da stand ein hübsches zweistöckiges Wohnhaus, das frisch in rosa angestrichen war. Gegenüber war ein flaches, kleineres Gebäude, das auch rosa angestrichen war, und zwei windschiefe Holzschuppen. Alles wirkte idyllisch. Das kleine rosa Gebäude war das „Badehaus“, ganz schick als Bad mit Sauna ausgebaut. Auch mehrere Toiletten befanden sich hier. „Oh, es gibt ja Strom hier!“ bemerkte Waltraud. „Das ist bestimmt eine Seltenheit!“
„Stimmt,“ meinte Ralf, „meine Eltern haben gute Beziehungen und so konnten wir hier Strom und Wasser gelegt bekommen. Allerdings ist nur die Küche mit Wasser versorgt. Im ersten Stock ist neben dem Treppenhaus das alte Klo. Es funktioniert nicht besonders. Wenn möglich, geht bitte immer in die Toiletten im Badehaus, wenn Ihr mal müsst.“
Im Wohnhaus kam man durch eine kleine Diele, wo die Holztreppe in den ersten Stock führte, gleich in die Wohnküche, die durch einige alte Balken vom Wohnzimmer abgeteilt war. Man hatte freien Blick von dem einen ins andere Zimmer. Aus dem Wohnzimmer ging eine Tür in ein Nebenzimmer. „Hier kann einer von uns schlafen“ sagte Ralf und führte uns nach oben, wo es weitere kleine Schlafräume gab. Alles war sauber, gemütlich und ordentlich. Es gefiel mir sehr gut. Ich fragte, ob ich das Erdgeschosszimmerchen bekommen kann – mit dem Gedanken, dass ich nachts öfters mal muss, und durfte da einziehen.
Der Kühlschrank war gut gefüllt, was Ralfs Tante und Onkel vorbereitet hatten. Es war nun schon Mittag und ziemlich heiß. Wir ruhten uns etwa zwei Stunden lang von der anstrengenden Fahrt aus. Erstmal rief ich daheim an und erzählte dem Anrufbeantworter, wo ich gelandet bin. Wie der Ort hieß, das wollte ich später nochmal Ralf fragen und beim nächsten Anruf mitteilen. Am Nachmittag gingen wir zusammen ins Dorf. Der kleine ehemalige Bauernhof lag gut einen Kilometer ausserhalb. Hier kauften wir ein paar Sachen ein. Ralf hatte uns mit albanischem Geld versorgt. Ich kam mir vor als wäre ich in einem mittelalterlichen Film, alte verfallene Häuschen, Hühner, Hunde und Katzen auf den Wegen, kleine Gärtchen, Olivenbäume und alte Männer vor den Haustüren. Eine einzige geteerte Straße gab es, die tausendmal geflickt worden ist. Ralf traf eine Menge Bekannte und wir kamen dem entsprechend langsam voran. Fast die ganze Zeit im Dorf folgte uns ein großer Truthahn, immer im gleichen Abstand von zirka vier Metern. Das fanden wir lustig. Wenn wir auf ihn zugingen, wich er zurück. Gingen wir weiter, wackelte er wieder hinterher.
Nach dem Abendessen spielte Hüseyin ein bisschen auf der Gitarre. Hüseyin lebt schon lange in Ankara. Er hat damals in Deutschland studiert. Seine Freundschaft mit Ralf besteht immer noch. Er arbeitet im Import-/Export-Geschäft seines Onkels und hat dadurch öfters Gelegenheit, aus der Türkei in andere Länder zu kommen.
Ziemlich früh gingen wir schlafen.
Morgens gings an den Strand. Weil wir so viele Sachen mitnahmen – Sonnenschirme, Decken, Verpflegung... - fuhren wir die etwa 800 Meter mit dem Auto über einen hoppeligen Weg. Dort stellte es Ralf zwischen ein paar karge Büsche in den Schatten. Das war aber auch der einzige Schatten, ja überhaupt das Einzige, was es an diesem Strand gab. Das war ein sandiger Küstenstreifen. Mir gefiel es überhaupt nicht. Nach dem Schwimmen juckte das Salzwasser, aber keine Dusche, unbequem zu liegen oder zu sitzen. Nichts, rein gar nichts weit und breit, nur karge, öde Landschaft, am Horizont hohe Berge. Strand, darunter stelle ich mir was Schöneres vor. Die Anderen störte das alles überhaupt nicht. Schwimmen ging ausser mir niemand, die anderen höchstens mit dem großen Fußzeh ins Wasser. Die Drei waren auch ganz mit sich beschäftigt, die Männer flirteten mit Waltraud, die eine beneidenswert gute Figur hat und die Aufmerksamkeiten sichtlich genoss. Ich kam mir nun auch noch ziemlich überflüssig und deplaziert vor. Das Meer war allerdings herrlich. So oft wie möglich ging ich hinein und sprang in den Wellen herum.
Abends konnte ich endlich telefonisch meinen Michael erreichen und jaunerte ihm vor, wie langweilig es ist. Am nächsten Morgen, als die anderen sich wieder für den Strand vorbereiteten, meldete ich mich ab, nahm das alte Fahrrad aus dem Schuppen und machte mich alleine auf Entdeckungstour. Ich kam durch hübsche kleine Örtchen und landwirtschaftliches Gebiet. An einem Marktstand kaufte ich Mittags Obst, Tomaten und Brot und hatte mit dem mitgenommenen Wasser eine schöne Mahlzeit.
Zufrieden fuhr ich dann zurück.
In dem Haus war noch niemand. Statt hinein zu gehen radelte ich weiter zum Strand. Das Auto stand wieder zwischen den Büschen, die Handtücher und Sonnenschirme waren an derselben Stelle wie gestern, aber meine Mitreisenden waren nicht zu sehen. Ich wartete eine Zeit lang vergebens und fuhr dann zum Haus zurück.
Drinnen erwartete mich eine böse Überraschung. Hier hatten Vandalen gehaust!
Alles lag durcheinander herum. Die Möbel waren kaputt geschlagen, die Kissen aufgeschlitzt, der Kühlschrank stand offen und das Essen flog auf dem Fußboden herum. Entsetzt rannte ich nach oben. Da sah es genauso aus. Auch mein Zimmerchen war verwüstet. Bloß das noch fast vollständig gepackte Köfferchen war unversehrt unter dem Bett. Die Vandalen hatten es wohl nicht bemerkt. Ich bekam einen Mordsschweissausbruch. Panisch versuchte ich zu überlegen. „Mein Handy, ich muss anrufen!“ Aber das Ding war verschwunden, mitsamt dem Ladegerät, was ich es morgens zum Aufladen an die Steckdose gehängt hatte.
„Verdammte Scheisse“, dachte ich, „wo bleiben denn die anderen?“
Ich radelte nochmals zum Strand. Da war alles unverändert menschenleer.
Wieder im Haus überlegte ich, am besten die Polizei über den Einbruch zu informieren. Also radelte ich in den Ort, erinnerte mich wo ich die kleine Wache gesehen hatte und ging rein. Die beiden Polizisten schienen vollkommen stumm zu sein. Sie glotzten mich nur an. Kein Gruß, kein Zeichen, dass sie irgendwas verstanden. Ich versuchte es in allen Sprachen, zum Schluss mit „SOS“, „Hilfe!“, „help“ und „m´aidez“. Keine Reaktion. Nur stummes Starren.
Ich verzweifelte wirklich, fuhr noch x-mal mit dem Rad zum Strand und zum Haus und nochmal zur Polizei – wo ich aber nicht mehr reinging, suchte nach den Handys der anderen. Nichts und niemand.
Es wurde Abend, es wurde Nacht. Ich hatte Angst, dass die Vandalen wieder kommen. Trotzdem wurde ich müde. Schließlich zog ich meinen Schlafanzug an und ging ins Bett. Wie üblich, musste ich nachts auf die Toilette, also in dieses Badegebäude. Ich fand keinen Lichtschalter, aber der Mond schien hell.
Gerade als ich auf dem Lokus saß, hörte ich ein Auto kommen. „Na endlich“, seufzte ich erleichtert. Aber es war ein ganz anderes Auto. Durch das Fenster sah ich drei Männer aussteigen. Wäre ich mit meinem Geschäft fertig gewesen, so wäre ich gleich zu ihnen gelaufen. Aber so konnte ich nicht und sah sie ins Haus gehen. Als ich ihnen schließlich folgte, waren sie schon im Obergeschoss. Ich hörte sie heftig streiten. Natürlich konnte ich kein Wort dieser Sprache verstehen. Schließlich stürmten sie alle wieder ins Freie an mir vorbei, ohne mich zu bemerken. Dann fiel ein Schuss und ich sah den einen Mann torkeln und hinfallen. Ein anderer ging hin und trat ihm in die Seite. Er zuckte kurz und rührte sich nicht mehr. Wortlos stiegen die zwei anderen ins Auto und fuhren weg.
Ich war völlig erstarrt. Nach einer Weile schlich ich zu der Person auf dem Boden. Im Mondschein sah ich einen dunklen Blutfleck und erkannte das Gesicht des einen Polizisten. Mit weichen Knien rannte ich wieder aufs Klo, kam dort lange, lange nicht mehr runter.
Trotz der panischen Angst konnte ich nachdenken. Ich schlich ins Haus, holte meinen Koffer und die Handtasche und rannte zum Strand. Hier war alles wie vorhin. Aber wie am Vortrag hatte Ralf den Autoschlüssel stecken lassen. Ich warf meine Sachen ins Auto, startete und fuhr langsam und ohne Licht los. So fuhr ich mindestens 10 Kilometer, dann aber mit Licht und so schnell wie es auf der schlechten Straße möglich war.
Ich wollte nur noch eins: Weg da!