Den Anfang der Geschichte nachlesen:
So machte ich den beschwerlichen Abstieg auf der Serpentinenstraße. Die wenigen Autos, die mich überholten, hupten jedesmal wie blöde, aber keins hielt an.
Es ging mir immer dreckiger. Der Kopf schmerzte und die Wunde blutete, meine alten Knie waren nach drei Stunden bergab wie Pudding, mir war übel und mehrmals ging ich ins Gebüsch, weil ich Durchfall hatte. Albaniens Rache, die vergammelten Frikadellen!
Ich hatte den Eindruck, die Stadt ist noch genau so weit weg wie vorher. In der Mittagshitze legte ich mich auf einer Wiese schlafen. Erst ein enorm lauter Donnerschlag weckte ich mich, sogleich folgten Hagel, Regen und die Temperatur ging „gefühlt“ in Richtung Eismeer.
Ich fand einen Unterschlupf in einer Felsennische. Dort zog ich die nassen Sachen aus und alle möglichen Kleidungsstücke aus dem Koffer übereinander an. Der Fels bot nur minimalen Wetterschutz. Dass ich nass wurde, konnte ich trotzdem nicht verhindern. Zum Glück wechselte das Wetter schnell. Bald schien die Sonne schon wieder, und ich machte mich weiter an den Abstieg.
Stunden später kam ich in einem Dörfchen an. Es war schon fast dunkel. Mir war es so hundeelend und alles egal, dass ich mich einfach auf die Straße setzte. Und dann, dann weiss ich nicht, was passiert war. Das nächste, woran ich mich erinnere ist, dass es hell war, und an eine freundliche alte Frau, die mich zu einem jungen Mann in einen Kleinlaster bugsierte. Meine Sachen lagen schon drin. Von ihrem Redeschwall verstand ich nur ein Wort, das sie mehrmals sagte: „Dubrovnik“. In mir keimte die Hoffnung, denn von Dubrovnik aus konnte ich bestimmt nach Hause kommen, entweder fliegen oder mit einem Zug.
Nach gut einer halben Stunde Serpentienfahren – mir war es schon wieder speiübel – brach der junge Mann sein Schweigen. Er hieß Mirko und konnte Englisch. Hurra, endlich einer, mit dem ich mich verständigen konnte! So erfuhr ich, was zuletzt passiert war.
Seine Oma hatte mich verwirrt vor ihrem Häuschen gefunden. Sie hatte mich hereingeholt, meine Kopfverletzung versorgt, mir Zwieback gegeben und Tee gekocht. Später hat sie mich sogar gewaschen und mir Kleider von sich angezogen, denn meine waren vollkommen ruiniert. Gut, dass die liebe Frau früher einmal Krankenschwester gewesen ist. Ich erinnere mich nicht, dass sie die Kopfwunde genäht hat, aber es kann niemand anderes gewesen sein. Das Ganze habe ich kaum registriert, ich war ganz apatisch und habe lange geschlafen.
Die Frau hatte mich gepflegt, bis sie mich für reisebereit hielt. Um möglichst wenig bei meiner Reise aufzufallen und den Kopfverband zu verbergen, hatte mir die liebenswürdige Frau ein Kopftuch umgebunden. Man konnte mich damit locker für eine Einheimische halten.
Das war also die Erklärung, weshalb ich in diesem fremden, bunten Bauernkleid im Bett gelegen war, wo mein Mann mich Tage später fand.
Ich denke gerne an diese alte Frau und ihren Enkel Mirko. Sie sind fast die einzigen Lichtblicke in dieser üblen Geschichte. Besonders die Oma strahlte so viel Güte und Freundlichkeit aus.
Mirko studiert in Dubrovnic und verdient sich mit Transportfahrten etwas dazu. Weil das Dorf auf dem Weg liegt, macht er regelmäßig halt bei seiner Oma. Diesmal hatte sie eine besondere Fracht für ihn. Gerne nahm er den Auftrag der Alten an, mich mitzunehmen und zum Flughafen in Dubrovnik zu bringen. „Nicht nach Kotor“, hatte sie betont.
Kotor? Also war der große Ort, den ich von oben gesehen hatte Kotor. Hab ich schonmal gehört! Ob ich nicht von dort abfliegen kann? „Das geht“, sagte Mirko, „aber sicherer ist Dubrovnic. Oma hat gesagt, ich soll Dich an einen sicheren Flugplatz bringen, und das tu ich auch.“
„Machst Du immer, was man Dir sagt?“ scherzte ich. „Ja“, entgegnete er, „aber nur bei liebenswerten Frauen wie Oma - oder Du.“
„Upps, was für ein Kompliment!“ Ich fühlte mich geschmeichelt und betrachtete den hübschen Kerl von der Seite. Nein, nicht dass Ihr denkt... ich doch nicht... in meinem fortgeschrittenen Alter... so was ganz und gar nicht!
In Kotor machte Mirko halt. Er war mit einem Mädchen verabredet. Wir vereinbarten einen Treffpunkt und eine Uhrzeit. So war er etwa drei Stunden mit dem Mädel zusammen. Derweil sah ich mir Kotor an. Eine schöne Stadt ist das. Ich beschließe, unbedingt hier einmal Urlaub zu machen. Richtigen Urlaub, meine ich. Um die Mittagszeit traf ich den gut gelaunten Mirko wieder.
Mirko fuhr die Küstenstraße entlang nach Dubrovnik. An der Grenze von Montenegro nach Kroatien wurden seine Ladepapiere und sein Pass kontrolliert. Mich fragte keiner nach dem Ausweis. Sie hielten mich sicher für Mirkos Mutter oder eine Verwandte. Dann konnten wir ungehindert weiterfahren.
In Dubrovnik brachte Mirko mich gleich zum Flughafen und half mir beim Ticketkauf für die nächste Maschine nach Deutschland. Es war ein Flug nach Düsseldorf. Noch sieben Stunden bis zum Abflug. Mirko bestand darauf, mir etwas von Dubrovnik zu zeigen. Weil er so nett war, ging ich darauf ein, obwohl ich mich schon wieder elend fühlte. Aber heute war es mir endlich mal einen Tag einigermaßen gut gegangen.
Morgen kommt der nächste Teil