Am Freitag Abend rief meine Zwillingsschwester Naonna aus München an:
Stell Dir vor, Xammi, was mir Blödes passiert ist. Gestern auf der Heimfahrt von der Arbeit bin ich im Zug eingeschlafen. Das passiert mir öfters, aber ich werde immer rechtzeitig wach. Diesmal war der Zug aber schon im Bahnhof. Schnell schnappte ich meine Taschen und stürzte aus der Bahn. Mein Bus kam auch gerade, so dass ich ihn eben noch erreicht habe. Im Bus bemerkte ich erst, dass ich meine Handtasche nicht mehr hatte. Das war ein Schreck! Alles weg! Mein Portemonaie mit Ausweis, 2 Karten für Girokonten, die Jahres-Fahrkarte, meine Schlüssel... Die zirka 50 Euro kann ich ja verschmerzen, aber die Lauferei wegen allem anderen! Und die Angst, dass jemand einbrechen kann! In der Bahn hatte ich die Tasche neben mich gestellt, statt sie auf meinen Schoß zu nehmen. Dahin hatte ich zwei Einkaufstaschen. Also, das Unwichtige habe ich gut festgehalten, das Wichtige nicht. Ob die Tasche gestohlen worden ist, während ich schlief, oder ich sie einfach liegen lassen hatte, weiß ich nicht. Erstmal ging ich heim, damit ich überhaupt in die Wohnung komme. Hans wollte noch ins Training und danach mit den Kumpels was trinken. Und Ramona ist bis Samstag auf Klassenfahrt. Als ich Hans sah, heulte ich ihm nur noch was vor. Er rief für mich gleich bei der Bahn an, um zu hören, was ich machen kann. Dann gab er mir eine Nummer für meine Verlustmeldung. Also Xam, ich war so durcheinander, dass die Frau am anderen Ende kaum mitschreiben konnte. Sie riet mir, zum Hauptbahnhof zu fahren und dort persönlich nachzufragen. Erstmal habe ich aber die Kontokarten gesperrt. Das geht mit einem Sprachcomputer und ist so langsam, dass ich dabei mich dabei wieder einigermaßen in den Griff bekam. Mein Handy konnte ich leider nicht sperren lassen, weil wir vom Festnetz die 0180er bis 0190er-Nummern gesperrt haben. Und mein lieber Mann ist der größte Handy-Gegner, den es gibt. Er nimmt es nur, weil es sein muss, bei der Arbeit und lässt es aber auch da. Ich also den Autoschlüssel geschnappt und nach München rein. Bei unserem Vorort-Bahnhof, wo ich ausgestiegen war, gibt es keine Bahnvertretung, aber eine Polizeistation in der Nähe. Die wollten mir erstmal einen Knollen verpassen, weil ich vor der Tür parkte. Meine Anzeige nahmen sie nicht auf, da ist die Bahnpolizei zuständig. Kurzum, ich wartete im Hauptbahnhof 3 Züge ab, die in meine Richtung pendeln, aber natürlich: nichts.
Heute Vormittag hat Hans gleich neue Schlösser besorgt. Er muss aber bis heut Abend warten, weil unser Untermieter sonst nicht ins Haus kommen kann, und ich ja auch nicht. So zitterte ich bei der Arbeit, dass uns jemand die Wohnung ausraubt. Heute auf der Arbeit ging gleich das Problem los, wie ich ins Büro kommen sollte. Die Zutrittskarte ins Bürohochhaus war ja auch weg. Also, Ersatzkarte besorgt. Mein Kollege riet mir, sofort mein Handy sperren zu lassen. Er rechnete gleich mal aus, wenn jemand eine 0190er-Nummer angerufen hat mal 12 Stunden. Na, an die dreitausend Euro bist Du los, NaOnna! Mir wurde es gar nicht besser. Ich schaute zu, meine Terminarbeit fertig zu kriegen und bin wieder heim. Nachmittags kam der Anruf vom Hausmeister einer Berufsschule. Er hat meine Tasche gefunden, beim Saubermachen des Schulhofs. Sie ist leer. Wer ich bin, konnte er nur anhand einer Paketkarte herausfinden, auf der mein Name und die Adresse stand. Ich kann mir die Tasche am Montag im Sekretariat abholen. NaOnna hat sich heute frei genommen. Sie will die Tasche abholen, sich einen neuen Personalausweis machen lassen und und und. Ich drücke meinem Zwilling ganz, ganz fest die Daumen, dass sie doch wenigstens ihre Papiere wieder kriegt. |